Trainingslager Qigong und Taijiquan, 29.9.-3.10.2022

…dahinter verbergen sich vier einzelne Übungstage mit vier verschiedenen Themen des Qigong oder Taijiquan bei Shifu Gabi Fischer Lind im Bensheimer Dojo oder bei gutem Wetter in der Natur der Bergstraße. Man hat die Möglichkeit, sich variabel für die einzelnen Themen oder alle Tage anzumelden. Während Irina bereits am Donnerstag die Qigong-Form der Wildgans übte, stieg ich berufsbedingt erst am Freitag in die Übungstage ein, die wir für uns am Block nutzen wollten. Im Vorfeld dieser Tage hatte Gabi die Übungsinhalte mit uns Lehrerinnen abgestimmt, sodass für jeden etwas dabei war, das derzeit auf unseren Übungsplänen steht. Für mich begannen die Übungstage mit dem Frauen-Qigong, ein sehr schöner Einstieg, um den Alltag hinter mir zu lassen und in die Ruhe fürs Üben zu finden.

Die meisten der weichen, geschmeidigen Bewegungen waren mir vertraut und dienten in diesem Sinne tatsächlich meinem eigenen Wohlbefinden. Der Schwimmende Drache, eine sehr alte Qigong-Form, kam hier für mich als neuer Input hinzu. Der männliche, kraftvolle Drache schafft die Verbindung zum himmlischen Qi und taucht ins Meer: übersetzt in die Übung bedeutet dies, eine Verbindung der drei Dantien (Zinnoberfelder/Energiefelder) anzustreben. Der Schwimmende Drache wurde einstmals als stärkende Übung in Klöstern entwickelt. Später fand man heraus, dass die weiblich und tänzerisch anmutenden intensiven Bewegungen der Wirbelsäule den Hormonspiegel, den Lymphfluss und das Bindegewebe positiv beeinflussen sowie im weiten Sinne die Figur und Beweglichkeit des fraulichen Körpers lange erhalten könnten, sofern man regelmäßig übt. Man darf ihn durchaus zwanzig Minuten oder länger am Stück „schwimmend“ üben. Die bekannten Trainingsprinzipien „Schultern senken, Schultern nicht verziehen, locker lassen“ gelten beim Schwimmenden Drachen natürlich auch.

Ein weiterer Übungstag stand ganz im Sinne der fünf Tiere. Gabi brachte uns den Vogel, den Tiger, den Hirsch, den Affen, den Bären ganz eng im Zusammenhang mit den fünf Wandlungsphasen nahe und gab uns einen kleinen Einblick in die unendlichen Zusammenhänge dieses Systems. Den Wandlungsphasen an sich unterliegt der Lauf der Jahreszeiten, unserer Organe mit den entsprechenden Lauten sind dem zugeteilt, Gemütszustände, Geschmacksrichtungen, unsere Eigenschaften, Persönlichkeitsmerkmale… Jede Tier-Übung ist eine abgeschlossene Form aus fünf kleineren Bewegungsabläufen. Von allen Tieren übten wir die erste Form und einigten uns nach der Mittagspause auf ein, zwei weitere „Tiere“ in deren Übungsfolgen wir noch etwas tiefer eindrangen. Jeder sollte in sich spüren, welchem Tier man sich am meisten zugewandt fühlte, wobei die Wahl mit der individuellen Persönlichkeit zu tun hat. Man könnte sich speziell ein Tier auswählen, um etwas Bestimmtes zu bearbeiten. Wiederum erklärte uns Gabi in unserer abendlichen Runde am Beispiel des Affen, dass wiederum jedes Tier auch – ALLES – in sich vereint. Für mich war dieser Übungstag ein interessanter Ausflug in dieses Qigong. Soweit ich konnte, habe ich mich auf die Übungen eingelassen und geschaut, welche Empfindungen sie bei mir wecken. Gabis theoretische Ausführungen zu den andlungsphasen sind immer sehr kurzweilig. Bei ihren interessanten Erörterungen über den Holztyp oder das zu viel an Metall, oder, oder, oder wird man unweigerlich angeregt, Parallelen bei sich selbst zu erkennen.

​Ein wichtiger Übungstag in diesem Trainingslager war für Irina und mich der Taijiquan-Tag in kleinerer Runde, da dies Gabi seit längerem, auch auf unseren Wunsch hin, ins Programm aufgenommen hatte. Taijiquan ist eine Säule unseres heimischen Übens, welches sich bisher allerdings im Wesentlichen auf die Pekingform beschränkte. Seit etlichen Jahren erarbeite ich mir mit Irina die Lange Form, die „eigentliche“ Form des Taijiquan. In mehreren Trainingslagern und im gemeinsamen Austausch hatten wir sie uns einschließlich des zweiten Teils angeeignet. Eigentlich wollte ich vom Ablauf her gut vorbereitet in diesen Übungstag gehen…Corona hat unser gemeinsames Weiterüben durchkreuzt, andere Unpässlichkeiten kamen dazwischen, die Zeit zum selbständigen Üben mit den Videos hab ich mir über den Sommer doch nicht genommen. In der letzten Übungsstunde vor dem Trainingslager haben wir unsere großen Lücken bemerkt und ich hab mit ziemlich flauem Gefühl und sehr unzufrieden diesem Übungstag entgegengesehen. Daran änderte auch das Beschäftigen mit den Videos nicht mehr viel. Am Sonntag früh in unserer kleinen Lehrerinnen-Runde bei Gabi konnte ich dann doch befreiten Herzens auf diesen Taiji-Übungstag freundlich zurücksehen. Es kam mir vor, als hätte ich eine kleine Metamorphose durchlebt. Gabi und Larissa hatten uns ziemlich strukturiert, untermauert mit Tuisho und kleinen Anwendungen, den zweiten Teil der Langen Form wieder nahegebracht. Ich kam mir anfangs wie ein purer Anfänger vor. Meine Wissenslücken kann ich schon immer viel schlechter kompensieren als Irina. Als ich vorn in der Gruppe die Lange Form lief und mir Larissa aus den Augen geriet, stockte mein Bewegungsfluss. Ich konnte gut nachfühlen, wie es den Übenden in unserem Training bisweilen geht. Am liebsten wär ich weggerannt, zumindest zu den beiden Bensheimer Taijis die sich erstmalig an den zweiten Teil getrauten. Nach der Mittagspause übten wir Stück für Stück in kleineren Sequenzen weiter. Und es gelang mir so gaaanz langsam, den Faden wieder aufzunehmen. An Details war überhaupt noch nicht zu denken. Ich war froh, dass mir die Bewegungsabläufe wieder vertrauter wurden und ich in unserer kleinen Gruppe die Form etwas besser mitlaufen konnte. So nach und nach kam eins zum anderen. Gabi erklärte uns immer wieder, welche Angriffe oder welche Verteidigungen sich in dem jeweiligen Formabschnitt verbergen. Das ist wichtiges Wissen und Voraussetzung, um einmal die Form ausdrucksvoll laufen zu können. Mit einer guten Gedächtnisstütze, die uns Gabi in Form von drei kleinen Videos zum Ende des Tages schenkte, endete dieser Übungstag doch mit Ansporn, zu Hause intensiv an der Langen Form weiter zu üben, um von Mal zu Mal die Sicherheit zu erlangen, sich mit den vielen Details dieser Form beschäftigen zu können.

Irina und ich tauschen uns auf unserer langen Rückreise immer ziemlich intensiv, auch kontrovers über unsere Empfindungen und Erkenntnisse des vergangenen Seminars aus. Dieser Taijiquan-Tag wird auf jeden Fall unser gemeinschaftliches Üben bei Furyu beleben. Es gäbe noch viel Interessantes, Entspannendes, Schönes zu berichten: vom Herstellen persönlicher Duftölmischungen zum besseren Einschlafen oder schnellerem Aufstehen morgens, von der inneren Freiheit, Umarmungen von Herz zu Herz zuzulassen und zu üben (nach Corona eine tolle Erfahrung), von partnerschaftlicher Räucherzeremonie, von Handmassagen mit dem Öl der eigenen Intuition, von schöner Musik, die das Üben begleitet, von Gesprächen über Yin und Yang und die daoistische Lebensphilosophie, vom gemeinsamen Kochen in Gabis Küche, von der Gastfreundschaft ihrer ganzen Familie…​

Es war schön, wieder bei einem Trainingslager dabei zu sein. Vielen Dank, liebe Gabi für deine vielfältigen Anregungen in jeder Hinsicht und die perfekte Vorbereitung des Trainingslagers.

Ute Lachmann-Ludwig