Kangeiko in Neukirch, 6.-8.1.2023
Zeitreisen
Das Training am Morgen des Samstag ruft. Es ist noch dunkel, leichter Wind weht mit kühler Luft durch die Buchen am Hang des Hügels, wo auf halber Höhe das Bethlehem-Stift steht. Ganz ähnlich wie in meinen Erinnerungen vom letzten „vollwertigen“ Treffen derer, die im Furyukan Übungen anleiten. Im Januar 2021 trafen wir uns für zwei Stunden auf den Bildschirmen online, 2022 zum Spazierengehen, um wenigstens den vagen Umriss einer Jahresplanung für das Kampfkunstjahr zu fassen und ein kleines Maß zwischenmenschlichen Austausches zu haben. Beides war nur Notlösung, kein Ersatz für sonst etwa 46 Stunden Zusammenseins mit Übung auf höherem Niveau.
Die Teilnehmenden sind nie die gleichen, wenn auch scheinbar das ein oder andere beim Alten bleibt. Der Wandel der Zeit hinterlässt Spuren: grauere Haare, vollere Bärte und neue Erfahrungen. Manche verlassen diese Gruppe. Andere wie Cindy kommen hinzu und manche tun beides, wie Marika, Daniel, Karsten und Ricardo, die der Einladung an die „Ehemaligen“ folgten, trotz ihres Abschieds von der Übungsleitung oder gar der Kampfkunst, zum Kangeiko mitzukommen. Was dabei früher war, wird erweckt. Die Verbindung zueinander ist noch oder gleich wieder da. Sie basiert auf so viel gemeinsam verbrachter Zeit, überwundenen Konflikten und geteilter Freude – schöne Erinnerungen an das Frühere. Bei der technischen Übung wird aus dem Körpergedächtnis reaktiviert, was dort über Jahre verwurzelte. Wir begannen an jenem Samstagmorgen mit Taikyoku Shodan, dem wahrscheinlich kleinsten gemeinsamen Nenner aller zum Einstieg. Sofort wurden die Sequenzen in mir wach, welche bei dieser Kata zu beachtenden Details mir meine Lehrer offenbar erfolgreich einbrannten, wie es in jenen Turnhallen aussah, wo dies passierte, sogar, wie es dort roch und wer sonst noch in der Aufstellung mit mir stand. Aber auch wie ich mich dabei fühlte, spürte ich nun wieder. Wie ehrgeizig ich die Anweisungen meiner Sensei und Senpai umsetzten wollte, wie ich mich ärgerte oder freute, je nachdem wie gut es mir gelang und wie ich mir anfangs oft vorstellte, jemand säße am Rand, den ich mit meinen Techniken beeindrucken wollte.
Alles war oder ist wie früher – na klar und doch auf keinen Fall! Die meist schönen Erinnerungen sind nur der Ausgangspunkt für die Herausforderung des immer wieder zu erneuernden Kennenlernens der sich verändernden Menschen. Was ich einst lernte und fühlte, wird in meiner Übung heute fortgesetzt.
Ich danke allen, die vormals und dieses Mal dabei waren. Insbesondere Hendrik, der die Momente schafft, die aus Individuen eine Gruppe formen können. Felix Hommel