Shochû geiko am Frauensee 6.-14.August 2022

実 の 三角 (mi no sankaku)

Trigonometrie des Sommerlagers

Mathematisches Vorgeplänkel: 0D – 1D – 2D. In der euklidischen Geometrie bestimmen drei beliebige,  nicht alle auf einer gemeinsamen Linie liegende Raum-Punkte ein Dreieck. Dabei ist ein Punkt als ein ideales Objekt ohne jede Ausdehnung, als ein Kreis mit dem Radius Null definiert. Die kürzeste Verbindung zweier solcher nulldimensionaler Punkte, die man je nach Zusammenhang Gerade, Strecke oder in unserem Text auch Dreiecksseite nennen kann, eröffnet eine erste Ausdehnungsdimension. Eine zweite Dimension ergibt sich durch die direkten Verbindungen zum jeweils dritten Punkt. Die Summe der drei inneren Winkel der sich dadurch aufspannenden Fläche ergeben stets 180 Grad, sofern das Dreieck tatsächlich flach ist und nicht sphärisch, d.h. auf einer Kugel oder einem Sattel liegend, eine dritte Dimension eröffnet.

Übungszeit: morgens – mittags – abends.  Das Übungsdreieck, in dem wir uns täglich bewegen, spannt sich wie stets zwischen den Themen Kobudô, KU-Nyûmon und (Kick-)Boxen auf. Bedingt durch veränderte Mahlzeiten, sind die ersten zwei Ruhestrecken zwischen diesen Eckpunkten in diesem Jahr etwas kürzer, die mit dem Nachtschlaf verbundene dritte Ruhezeit dauert dafür länger als gewohnt.  Schemenhaft erinnere ich das Bild von zwei kürzeren Katheten und der längeren Hypotenuse, aber der alte Pythagoras würde mich wohl auslachen, weil sich sein Satz so gar nicht auf die zeitlichen Relationen übertragen lässt, mal abgesehen, dass ein nulldimensionaler Punkt als Metapher für eine mehrdimensional intendierte Übung kaum taugt.

Am Boden: Sankaku jime – Triangle choke – Dreieckswürge. Nach zwei Jahren coronabedingter Einschränkungen „ohne“ kehren wir  zur Sommerlager-Tradition zurück, einen ganzen Übungstag den Bodenkampftechniken zu widmen. Premiere im Jahr 2022 ist, dass in diesen drei Einheiten Tim Stephanblome in die Rolle des Lehrenden schlüpft und somit Olaf Krey sensei und Felix Hommel sensei eine Unterrichtspause und die Gelegenheit zum Mitüben verschafft. Das über sechs Trainingsstunden aus verschiedenen Positionen und Perspektiven verfolgte Thema ist ein Dreieck aus den eigenen Oberschenkeln und einem Unterschenkel, die um den Hals des Gegners möglichst eng geschlossen werden, um ihn so zur Kampfaufgabe zu zwingen.          

Familie: Vater – Mutter – Kind. Wie immer ist die Atmosphäre nicht nur in den Trainings, sondern auch und gerade jenseits derer im Sommerlager familiär. Das betrifft nicht nur das gegenseitige und ständige sich Unterstützen und Helfen der Teilnehmer. Es betrifft nicht nur die Organisationskünste der Shochû geiko-„Mama“ Tanja oder die väterlich-strengen, jedoch überaus wohlwollenden  Korrekturen und Hinweise von Olaf. Es betrifft auch die Sommercamp-Teilnahme dreier Familien im Wortsinn: Kinder vom Säugling bis zum Twen, frischgebackene und erfahrene Eltern holen die Metapher des Familiären ins Eigentliche, sogar ein Kindergeburtstag wird gefeiert. Kindliche Dummheiten begeht diesmal freilich ein (angeblich) „Erwachsener“. Nennen wir ihn …Ingo.

Dreiecksvermeidung: Angreifer – Angreifer – Verteidiger.  In den nicht an Formen gebundenen Übungen thematisieren wir dieses Jahr recht oft den Kampf zweier Personen gegen eine. Der berühmteste Schwertkämpfer Japans,  Miyamoto Musashi (1584-1645), riet in seinem Buch der fünf Ringe dem Leser: „Eine in jeder Situation richtige Technik ist es,  die Gegner so zu treiben, dass sie aufgereiht sind wie Fische auf einer Schnur. Hast du sie soweit, schlage sie nacheinander nieder…“. Umgekehrt werden die Zwei anstreben, den Einen auf die Linie zwischen sich zu bringen. Aus diesen Übungszielen resultieren sich permanent und dynamisch verändernde Dreiecke als Übergangsphasen zwischen den beiden unterschiedlichen Varianten der idealen Kollinearität dreier Punkte (Kämpfer).    

Schwedisch-sächsische Harmonie: Gitarre – Bass – Gitarre. Noch eine Sommerlager-Premiere dieses Jahr. Zum ersten Mal musizieren des Abends drei Gitarristen miteinander und schaffen für unsere Gesangsversuche einen vollen Klangteppich. Besonders schön ist dabei die Harmonie von Anders und Thomas zu beobachten und zu hören, die – obwohl sie einander vorher nicht kannten – in der Zeit bis zur Auswahl des jeweils nächsten Songs lustvoll gemeinsam jammen. Freilich klingeln Thomas später doch die Ohren, da  die eine Gitarre der anderen manchmal eine Achtel voraus ist und er sie mit seinem Bass (noch?) nicht „einzufangen“ bzw. zu lenken vermag… alles ist auf dem Weg. 
  
Under Pressure: Dominik – Tim – Friedrich.
Der Standard einer Schwarzgurt-Prüfung deutscher Übender des Koryû Uchinâdi Kenpô Jutsu vollzieht sich im Dreieck von Theorie-Aufgaben, Praxis-Teil und thematischem Aufsatz. Für drei Teilnehmer des Sommerlagers 2022 bedeutet die Praxis-Überprüfung mehrfach gesonderte Demonstrationen nach dem Gruppentraining. Wie Dominik in der abschließenden Reflektionsrunde am Sonnabend bekennt, ist mit dieser (Dauer-)Situation ein durchaus nennenswerter Druck  auf Physis und Psyche verbunden, dem aber alle drei standhalten. Nicht nur, weil sie die technischen Anforderungen erfüllen, sondern auch, weil sie sich gegenseitig stützen. Herzlich Glückwunsch zur erfolgreichen Absolvierung dieser Prüfungsetappe und gutes Gelingen für die kommenden!

Last not least: Nussecken – Nussecken – Nussecken. Wie übersetzt man eigentlich für einen schwedischen Mitübenden „Nussecke“ ins Englische? Nut triangle? Nut corner? Anyway: „What’s in a name?“, lässt Shakespeare seine Julia sagen…  erfreulich erscheint, dass trotz der bedauerlichen Abwesenheit Jans die leckeren Nussecken seiner Mutter wieder mit von der Sommerlager-Partie sind,  alle Teilnehmer täglich mit Energie versorgen und ihnen beim Verzehr ein lächelndes „Mmmhh“ entlocken.  Mit manch dreieckigen Traditionen sollte man nie brechen…In diesem Sinne: ein herzlicher Dank an alle, die in irgendeiner Weise zum Gelingen dieses dreieckigen Sommerlagers beigetragen haben!

Hendrik Felber