Seminar mit Olaf Krey kyôshi in Berlin – Aragaki Seisan Ôyô & Bôjutsu-Prinzipien

Hallo Friedrich, viele Grüße aus der Heimat, wo sich gerade der Herbst von seiner schönsten Seite zeigt, das Laub bunter wird und die Zugvögel sich sammeln. Wie geht es dir auf „La Réunion“, hast du dich in den vergangenen Monaten schon etwas eingelebt, die Insel und neue Freunde kennengelernt? Gibt es spannende Kurse für dein Sportstudium und was machen die Französisch-Kenntnisse? Hast du dort auch Gelegenheit, Kampfkunst zu üben oder eventuell ein Training zu besuchen? Häufig bietet sich ja bei solchen Aufenthalten auch mal die Chance über den Tellerrand hinauszuschauen, so ging es mir zumindest bei meinem Auslands-Studienjahr in den USA oder auch Falk in Neuseeland.

Gefühlt ist das Sommerlager, bei dem wir uns das letzte Mal gesehen haben, noch fast wie gestern präsent, aber es sind schon wieder mehr als zwei Monate vergangen, seit du aufgebrochen bist und ich auch kein Seminar mehr besucht habe. Aber am vergangenen Wochenende war es endlich mal wieder soweit, Leute aus dem Sommerlager wiederzutreffen (Olaf, Dominik, Anita, Hendrik) und gemeinsam Zeit mit der Kampfkunst zu verbringen. Leonard hatte Olaf sensei nach Berlin geladen und auch die Themenauswahl versprach ein buntes Programm: Anwendungen zu Aragaki Seisan und Grundlagen der Handhabung und Bewegung mit dem Bô. Ich hatte eigentlich gehofft, dass diese Themen mehr Interesse wecken und speziell sich auch aus dem Dresdner Dôjô einige Teilnehmer finden würden, da wir in den vergangenen Monaten zufällig genau diese Themen ins Zentrum des Übens gestellt hatten und man so auch noch mal eine andere Perspektive darauf bekommen könnte. Und Berlin ist ja jetzt nicht so weit weg… An der vorsichtigen Formulierung kannst du erahnen, inwieweit diese Hoffnung erfüllt wurde – letztendlich waren aus Königsbrück und Dresden nur Hendrik und ich in Berlin. Aber der Reihe nach:
Ich hatte mich für beide Tage angemeldet, von Felix erfuhr ich, dass Dominik aus Zittau auch teilnimmt, aber nur am Samstag, und so hatte ich schonmal eine günstige Mitfahrgelegenheit für die Anreise. Am Samstagmorgen hat er mich in Dresden an der Autobahn eingeladen, im Bus waren dann vier weitere Karateka aus Zittau dabei: zumindest im Otomo dôjô scheint es also besser zu klappen. Mit kurzweiligen Gesprächen verging die Fahrzeit nach Berlin sehr schnell und pünktlich waren wir am Seminarort, wo auch schon Olaf und weitere Seminarteilnehmer uns erwarteten. Dennoch war die Zahl der auswärtigen Interessenten gering, neben Karateka aus den beiden Berliner Dôjôs war nur Anita von weiter weg angereist.

Bei den kurzen einleitenden Worten von Olaf war interessant zu erfahren, dass quasi am selben Ort in Berlin-Lichtenberg schon ein Seminar mit Patrick McCarthy sensei stattgefunden hatte und auch die erste Trainingsstätte der ersten deutschen Koryû-Uchinâdi-Übenden sich hier befand – wir wandelten also auf historischem Boden. In bewährter Weise startete die Aufwärmung mit einem kurzen Basketball-Spiel, mangelndes technisches Vermögen wurde durch körperlichen Einsatz kompensiert und niemand wurde verletzt. Dann noch ein bisschen den Körper durchbewegen und es ging mit den ersten Seisan-Anwendungen los, die natürlich am Boden endeten und auch den einen oder anderen neuen und interessanten Stand-Boden-Übergang enthielten. Ich hatte Anita als Übungspartnerin, mit ihr habe ich immer viel Spaß, da sie gern neue Impulse in die Übung einbringt.
Das Durcharbeiten der Kata wurde dabei immer mal wieder durch kleine Einschübe mit Situationsdrills am Boden aufgelockert, welche mit verschiedenen Partner durchrotiert wurden. So verging die Zeit wie im Flug, am Ende des Tages hatten wir es tatsächlich durch gesamte Form geschafft, einen entsprechenden Flowdrill erzeugt, den wir dann wieder abwechselnd in Dreiergruppen mit Partnerwechseln bei jedem neuen Szenario übten und so auch die Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit bei allen noch einmal gefordert war. Die letzten Minuten galten dann der Soloform und entsprechender Korrektur für diejenigen, welche den Ablauf schon kannten.
Für den Ausklang des Abends hatte Leonard ein nettes asiatische Restaurant rausgesucht, wo in kleiner Runde noch einmal der Tag reflektiert wurde und sich die Gelegenheit bot, sich über aktuelle Themen rund um Koryû Uchinâdi auszutauschen. Neben dem Erlernen und Festigen von technischen Wissen und Grundlagen ist dieser Aspekt von Seminaren oder Trainingslagern für mich über die Jahre immer wichtiger geworden, da ich mich nicht als Teil einer anonymen Übungsgruppe verstehe, in welcher es nur um das Lernen einer neuen Form oder Technik geht.
Für die Übernachtung hatte dein Vater einen Schlafplatz bei deinem Patenonkel Thomas angeboten, den ich gern annahm und der noch einen für mich spannenden Abend zusammen mit Hendrik und Thomas bot – das ist aber eine andere Geschichte.. Aber zumindest die Wohnung auf der Gubener Straße kennst du wahrscheinlich auch?!
Der zweite Tag war komplett dem Langstock gewidmet, die Gruppe war klein, der Kenntnisstand divers und so übten wir Handlinggrundlagen und verschiedene Partnerübungen mit unterschiedlichen Partnern. Hängengeblieben ist dabei bei mir hauptsächlich Olafs Aussage „Wirkung entsteht durch Präzision“ im Zusammenhang mit einer Übung zum Treffen eines senkrechten Stocks mit einem Stock-Stoß, wobei ich hierbei an die Analogie zum japanischen Bogenschießen denken musste, bei dem das Treffen des Ziels dem Anschein nach unwichtig ist beziehungsweise bei korrekter Ausführung der vorherigen Schritte automatisch passiert. Da mittags das Wetter uns mit Sonnenschein verwöhnte entschieden wir uns spontan den zweiten Teil des Sonntags draußen zu üben und so nicht das gesamte Wochenende in der Sporthalle zu verbringen.

Wie immer ging die Zeit viel zu schnell vorbei und es hieß mal wieder Abschied nehmen, auch wenn das nächste Seminar mit Ante Brännbacka in Dresden nicht weit ist und es so noch mindestens ein Wiedersehen zum Üben und miteinander Lernen in diesem Jahr geben wird.
Ich wünsche dir noch eine spannende Zeit auf der Insel im Indischen Ozean, geh den giftigen und zahnbewehrten Tieren aus dem Weg, nutze die Zeit und lieg nicht nur den ganzen Tag am Strand 😉!
Herzliche Grüße aus Dresden, Sascha
